Es dauert nur noch wenige Wochen, dann werde ich 50 Jahre alt. Deshalb gibt es ja überhaupt diese Halbzeitbiografie hier. Ob ich mit dem Älterwerden Probleme habe? Ja klar habe ich die. Meine Haare fallen am Hinterkopf kreisrund aus. Das macht mich fertig. Meine Tochter fotografiert nur noch meine kahle Stelle. Das macht mich verrückt. Vor allem, weil jetzt gerade alles so schnell geht. Immer öfter verweigert mir die Gesichtserkennung an meinem Handy den Zugriff. Kann man denn so schnell altern, dass selbst modernste Technik nicht mithalten kann? 30.000 Punkte in meinem Gesicht wurde gescannt und werden beim Entsperren abgeglichen. „Sie können ruhig die ein oder andere Falte dazubekommen, Ihr Handy erkennt Sie trotzdem!“ Ja Pustekuchen! Was aber, wenn nicht die ein oder andere, sondern tausende „Fältchen“ dazukommen? Was, wenn die Augenringe schlagartig Horst Tappert Dimensionen annehmen? Was, wenn über Nacht dem spitzen Westernheld-Kinn ein zweites gewachsen ist und sich die anfangs noch zu erahnenden Geheimratsecken plötzlich am Nacken treffen? So viel kann ich kosmetisch doch gar nicht gegensteuern, damit mich mein Handy noch erkennt. Meine Hände trocknen aus. Ja, ich weiß, das ist nun einmal so. Aber ich kann dabei zusehen.
Meinen deutlichen Alterungsprozess funkt mein Handy übrigens direkt an interessierte Werbetreibende weiter. Seit einigen Tagen verirren sich immer mehr Ü50-Tipps aus meinem Spamordner in mein normales Postfach.
Okay, bei diesem einmaligen Angebot für die Haartransplantation habe ich mal draufgeklickt. Zu teuer. Außerdem habe ich Angst, dass der Prozess des kreisrunden Haarausfalls nach einer möglichen Haarverpflanzung weitergeht. Dann habe ich mitten auf dem Kopf eine unkaputtbare Haarinsel, eine Haarpalme sozusagen, und links und rechts geht das Sterben weiter. Wie sieht das denn am Ende aus? So etwas sieht nur bei durchtrainierten Samurais aus, aber nicht bei adipösen Midlife-Krise-Typen. Verdammt, ich bin in einer körperlichen Sackgasse.
Jetzt soll ich sogar Hörgeräte-Tester werden. Eine Firma schrieb mich an, wollte mir die Angst vor „klobigen“ Geräten nehmen. Warum jetzt? Woher wissen die…?
Eine Dating-App „50plus“ hat mich auch als potenziellen Kunden ausgemacht. Ja, diese Marketingexperten wissen, wie Komplimente verteilt werden. Darf ich jetzt niemanden mehr daten, der U 50 ist? (Wichtige Anmerkung: Würde ich nie machen mein Schatz! Also nicht in meinem jetzigen Zustand ;-)
Aktuell liegen meine Prognosen am Corona-Virus zu sterben bei 0,4 Prozent. In einigen Wochen liegen sie laut Gesundheitsexperten bei 1,3 Prozent. Das ist eine Steigerung von mehr als 200 Prozent. Warum? Warum ich?
50 Jahre ist ein Alter ohne Positiveffekt. Selbst die Bahncard 50 gibt es erst ab 65 Jahre ermäßigt. Niemand steht im Bus für einen 50-Jährigen auf. Niemand lässt mich in der Schlange vor, niemand treibt die Menge auseinander mit dem Satz: „Machen Sie Platz, hier kommt ein 50-Jähriger.“ Selbst die Anti-Falten-Creme heißt Quenty forty … ja toll…
Jetzt also Silver-Surfer!? Was für ein schlimmes Marketingwort für alternde Menschen. Als wenn ich überhaupt noch auf ein Surfbrett käme.
Es ist verhext. Ich finde nichts Positives an der 50. Das Licht am Rententunnel ist noch stockdunkel, die Leuchtreklame am Arbeitshimmel signalisiert „Schwer vermittelbar“. Für die Kinder bist du aktuell nur peinlich. Süß wirst Du erst wieder mit Ende 70 und auch nur dann, wenn du eine Strickjacke trägst und Karamellbonbons der Marke Werther Echtes verteilst. Wenn Du jedoch mit 50 Süßigkeiten verteilst, bekommst Du einen eigenen Hashtag und eine Unterlassungsklage.
Musikalisch hatte ich mich schon als Teenager mit meiner Vorliebe für Chris de Burgh etwas ins Abseits geschossen. Und die ganze Rapper-Soße, die da heutzutage läuft, verstehe ich nicht. Ich bin ein Außenseiter. Ein bald 50-jähriger Außenseiter. Ich spiele Tischtennis. Alte Herren. 1. Kreisklasse. Ich habe damals zugestimmt in der Mannschaft zu spielen, um wenigstens dort als Nesthäkchen durchzugehen. Inzwischen bin ich der Viertälteste in meiner Mannschaft. Wir sind zu acht in meiner Mannschaft – also auch hier: Mittelmaß.
Ich kann längst nicht mehr alles essen. Die Nahrungsmittelunverträglichkeiten nehmen zu.
Es gibt kein Superlativ mehr für einen 50-Jährigen.
Ich mache jetzt Schluss, also mit diesem Kapitel. Das Schreiben zieht mich noch mehr runter. Ich höre jetzt eines meiner Lieblingslieder (hier klicken) und trinke ein Glas Wein, nur eins. Von zwei Gläsern bekomme ich seit kurzem Sodbrennen.
Reichen eigentlich 49 Jahre, na gut, fast 50 Lebensjahre aus, um eine Halbzeitbiografie zu schreiben? Ich denke, es hat sich eine Menge Kurioses, Schönes, Nachdenkliches und Lustiges angesammelt. Bis zu meinem 50. Geburtstag schreibe ich einige Erinnerungen hier einfach einmal nieder. Will doch keiner lesen? Ja Gott, dann lasst es. Wen es interessiert ... willkommen in meiner Welt.
Comments