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Ein Königreich für einen Thron


Die Queen und der Eiserne Thron aus der Serie "Game of Thrones". Bild: Copyright Reuters.

Ich hatte schon einmal erwähnt, dass ich mich statt für die Bundeswehr für den Zivildienst entschieden hatte. Unter anderem teilte ich mir damals, wir schreiben das Jahr 1989, mit drei weiteren Zivi-Kollegen die Pflege einer alten Dame (Dame dürfen Sie wörtlich nehmen), die auf einem großen Hof in Fröndenberg lebte.


Jeden Sonntag, drei Stunden lang von 16 bis 19 Uhr, kümmerte sich immer einer von uns Zivildienstleistenden um die extrem demenzkranke Frau, die fasr 100 Jahre alt war. Ihre Enkelin schaute immer um 19 Uhr kurz vorbei und unterschrieb uns unseren Stundenzettel. Ansonsten nutzte die Familie vermutlich unsere Dienste, um auf einen ausgiebigen Sonntagsspaziergang zu gehen. Die Frau wohnte in einem kleinen Haus neben dem Haupthaus des stattlichen Bauernhofes. Eine wunderschöne Allee zierte die Zufahrt.

In und an ihrem kleinen Haus war alles vorhanden, inklusives eines Gartens, der durch seine dunklen Bäume und hellen Blumen aussah, als sei er einem Märchen entsprungen.

Was ich zu machen hatte, erklärte mir ein erfahrener Zivi und ich wiederum gab mein Wissen später an einen jüngeren Kollegen weiter.


Der Tag bei der Dame begann um 16 Uhr mit einem netten Hallo, dann las ich ihr etwas vor, von dem ich fest überzeugt war, dass sie absolut gar nichts mitbekam. Wir kochten ihr eine Suppe (immer Tomatensuppe), lösten dort ein halbes Toastbrot auf, fütterten sie, sahen mit ihr eine halbe Stunde Fernsehen (immer die Gummibären-Bande auf dem Dritten WDR-Programm) und gingen mit ihr in den Garten. Wir mussten die Dame nicht völlig an- oder ausziehen. Sie bekam je nach Wetterlage eine dünne oder dicke Jacke über ihr immer wollenes und damit warmes Nachthemd gezogen. Dicke Socken trug sie sowieso immer. Gesprochen wurde wenig bis gar nichts – zumindest von ihrer Seite. Wir Zivis plapperten pausenlos. Okay: Ich plapperte pausenlos, von den anderen weiß ich das nicht. Vermutlich auch, weil mir in dem Backsteingebäude mit den schweren Holztüren und den riesigen Schlüsseln (wie in einem alten Schloss) immer etwas mulmig war und ich mir selbst Mut zusprechen musste.


Eines Tages schaute mich die Dame an und sagte: „Ich möchte jetzt auf meinen Thron.“ Ich traute meinen Ohren nicht, schaute meine Klientin an und fragte nach. „Sie wollen noch ein Toast?“ Die Frau war hellwach. „Ich muss auf den Thron“ wiederholte sie. Ja klar, vermutlich war gerade ihre letzte Sicherung durchgebrannt und Madame lebte noch einmal ihre Pilcher-Abenteuer nach. Damit jetzt ob der laxen Wortwahl kein Missverständnis aufkommt. Ich liebte diese alte Dame. Sie lächelte ständig und schaute einem immer in die Augen. Eine richtige Bilderbuch-Omi nur leider geistig in einer anderen Welt lebend.


Glauben Sie mir bitte, ich kannte zu diesem Zeitpunkt nur einen Thron, nämlich den des Monarchen. Okay, dachte ich mir, sie will ihre mondäne Jugend noch einmal nachleben. Ich holte ihr eine edle Strickjacke aus dem Kleiderschrank, dazu einen großen Hut, dann setzte ich sie auf einen wunderschönen Holzstuhl, mit einer langen Rückenlehne, die mit feiner Schnitzkunst verziert war.


Ihr sowieso schon oft fragender Blick sah jetzt noch etwas fragender aus. „Ich muss auf den Thron“ wiederholte sie erneut. „Sie sind jetzt auf dem Thron“ antwortete ich.

Meine Queen Mum wurde immer unruhiger. „Thron, Thron, Thron“, rief sie immer lauter. „So benimmt man sich am Hofe aber nicht“, versuchte zumindest ich die Contenance zu wahren. Doch meine sonst eher lethargische Dame ließ sich nicht beruhigen. Ich versuchte es mit allem Möglichen. Ich setzte sie in einen urgemütlichen Ledersessel, ich wechselte den Hut (noch größer), ich legte ihr das gute Silberbesteck auf den Tisch, damit ihr Wunsch nach blauem Blut zumindest mit dem entsprechenden Glanz begleitet wurde… nichts half.


Eine halbe Stunde ging das so, dann kam ihre Enkelin vorbei, um meinen Stundenzettel zu unterschreiben. Warum ihre Oma noch nicht im Bett sei. Ich klagte ihr mein Leid, versuchte ihr deutlich zu machen, dass ich nur auf meine Klientin eingehen wollte. „Ich finde hier aber nicht ihren Thron“, sagte ich. „Oh Gott“, entfuhr es der Enkelin. „Der Thron ist die Toilette.“ „Ja sicher“, lachte ich sie an. Ich merkte blitzschnell, dass nur ich diesen Vergleich spaßig fand.


Sofort brachten wir Oma aufs Klo, die sich sichtlich freute, ihr Geschäft nun auf einer Toilette und nicht auf ihrem Küchenstuhl oder im Fernsehsessel machen zu müssen. Die Enkelin wunderte sich noch, warum Oma im Haus einen Hut trug, ich traute mich ihr aber nicht die Wahrheit zu sagen. „Wir waren gerade im Garten… wegen der Sonne“, log ich.

Oma machte ihr großes Geschäft eigentlich immer in den Morgenstunden. Den Rest des Tages trug sie eine Windel, die wir Zivis aber nicht wechseln mussten.


Ausgerechnet bei meiner Schicht entschied sie sich, ihren Biorhythmus umzustellen. Sie hat bei mir nie wieder nach einem Thron gerufen. Meinem Nachfolger habe ich aber bei der Übergabe die Toilette mit folgenden Worten gezeigt. „Und hier ist das Königszimmer mit dem Thron.“ Er lachte kurz und klugscheißerte dann, „ja ich weiß, meine Oma sagt auch immer, sie müsse auf den Thron, wenn sie auf Toilette geht“.

 

Reichen eigentlich 50 Jahre, na gut, nun etwas mehr als 50 Lebensjahre aus, um eine Halbzeitbiografie zu schreiben? Ich denke, es hat sich eine Menge Kurioses, Schönes, Nachdenkliches und Lustiges angesammelt. Ich konserviere an dieser Stelle einmal einige Erinnerungen. Will doch keiner lesen? Ja Gott, dann lasst es. Wen es interessiert ... willkommen in meiner Welt.

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