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Der unglaubliche Treckerreifen

Aktualisiert: 14. Jan. 2020

Das Schlimmste, was ich einer Person je angetan habe, musste vor etwa 23 Jahren meine damalige Freundin erleiden. Ich bin zu dieser Zeit gerade Onkel geworden und wollte natürlich der beste Onkel überhaupt sein. Also entschied ich mich, für meinen Neffen Marcel einen Sandkasten bei uns im Garten zu bauen. Nicht irgendeinen Sandkasten, sondern einen zweistöckigen, aus Reifen…, aus Autoreifen…, aus einem Auto- und einen Treckerreifen genau genommen.


Ich fuhr zu einem befreundeten Reifenhändler nach Bergkamen und bettelte um zwei alte Reifen. Die erhielt ich auch. Da der Reifenhändler wenig Zeit hatte, zeigte er auf das riesige Altreifendepot. Ich könne mir dort zwei Reifen wegnehmen.


Reifen Nummer 1, der kleinere, passte in den Kofferraum des Kombis, den ich mir schlauerweise von meiner Schwester geliehen hatte. Reifen Nummer 2 war da schon eine andere Hausnummer. Das Treckerteil hatte einen beachtlichen Durchmesser. Ich wuchtete mit meiner Freundin das Monstrum aufs Autodach und zog dabei so viel Gummi über den roten Autolack, als habe dort gerade eine Riverdance-Truppe in Gummistiefeln den Weltrekord im Dauertanzen aufgestellt.


Egal, dachte ich mir, Gummi lässt sich ja abkratzen. Meine Freundin tickte da etwas anders. Sie war sichtlich schockiert. Ich konnte ihren Zustand der Entrüstung aber noch steigern, als ich den Reifen mit einer billigen Kordel zwischen Dach und Türrahmen festzurrte. Da hatte jedes 40 Jahre unter einer Höhensonne gelegene Gummiband mehr Halt. Ich wollte aber partout für meinen Neffen Marcel diesen Sandkasten bauen und hörte nicht auf die warnenden, mitunter flehenden Rufe meiner Freundin. „Einsteigen, ich pass schon auf“, sagte ich.


Ich passte nicht auf und fuhr, weil ich diesen Weg von Bergkamen nach Holzwickede immer nahm, auf die Autobahn auf. Meiner Freundin war das Entsetzen inzwischen ins Gesicht gemeißelt. Nun bin ich jemand, der nicht gerne auffällt. Mit einem fast ungesicherten Treckerreifen auf dem Autodach über eine Autobahn zu fahren, ist etwas, was auffällt. Diese Peinlichkeit versuchte ich zumindest damit wett zu machen, dass ich meine Geschwindigkeit der der anderen Verkehrsteilnehmer anpasste. Das wiederum führte dazu, dass der Autoreifen jetzt anscheinend lieber rollen wollte, als träge auf dem Dach zu liegen. Inzwischen zeigte mir ausnahmslos jeder Autofahrer den Vogel, einige versuchten mich zum Anhalten zu bewegen, wiederum andere, die schon ein Handy hatten, tippten eiligst dreistellige Nummer ins Display.


Meine Freundin weinte inzwischen. Aber jetzt war das Kind sowieso schon in den Brunnen gefallen, der Reifen aber noch nicht vom Dach. Ich kurbelte das Sonnendach auf und forderte meine Freundin auf, irgendwie den Reifen festzuhalten. Wirklich, ich lüge Sie nicht an: Als wir über das Kamener Kreuz fuhren, hing meine Freundin bis zur Hüfte aus dem Sonnendach und hielt, die Arme ausgebreitet als wolle sie alle Autobahnpolizisten dieser Welt umarmen, einen Treckerreifen auf dem Autodach fest. Dabei weinte sie so bitterlich, dass viele Autos freiwillig Platz machten, weil sie dachten eine Rettungswagensirene habe einen Defekt. Bevor der Shitstorm losgeht. Nein, bitte nicht nachmachen. Ja, ich weiß, dass ich wirklich unglaublich fahrlässig andere Menschen in Gefahr gebracht habe.


Zurück auf die A1 vor 23 Jahren. Ich weiß nicht, wie wir ohne Knöllchen oder das Abfeuern diverser Hartgummigeschosse auf uns, zu Hause ankamen, aber wir schafften es. Inzwischen war aus der Heulattacke meiner Freundin eine Art Lach-Heulkrampf geworden. Man, was hat die sich gefreut, dass ich sie heile nach Holzwickede gebracht habe.

Übrigens: im Sandkasten hat mein Patenkind Marcel nie gespielt. Und meine Freundin, glauben sie es mir oder nicht… hat mich vier Jahre später geheiratet.


 

Reichen eigentlich 49 Jahre, na gut, fast 50 Lebensjahre aus, um eine Halbzeitbiografie zu schreiben? Ich denke, es hat sich eine Menge Kurioses, Schönes, Nachdenkliches und Lustiges angesammelt. Bis zu meinem 50. Geburtstag schreibe ich einige Erinnerungen hier einfach einmal nieder. Will doch keiner lesen? Ja Gott, dann lasst es. Wen es interessiert ... willkommen in meiner Welt.

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