Ich bin ein Hurrikan-Opfer, kein Witz. 1998 flog ich mit meiner Freundin (ja, heutigen Frau) nach Florida. 14 Tage wollten wir durch die Gegend fahren, zwölf sind es geworden. Als wir kurz vor Ende unserer Reise die Florida Keys erreichten und unser Hotel beziehen wollten, wurden wir freundlich zum Mitmach-Verbarrikadieren oder Abreisen aufgefordert. Wir wussten natürlich, dass ein Hurrikan auf Florida zurast. Menschen und Medien hatten schon seit Tagen nur ein Thema: George. Wir wurden zu richtigen Hurrikanspezialisten. Ich kann Ihnen dank des Urlaubs nun erklären, was die dreckige Seite eines Hurrikans ist, die gibt’s wirklich. Aufregend wurde es aber erst, als wir von den Keys heruntergeworfen wurden und wieder nach Miami zurück mussten.
Wir bekamen ein Ersatzhotel und sollten uns bereit halten, falls auch Miami evakuiert werden würde. Im Hotel waren wir sicher. Da aber halbstündig die Bilder vom verwüsteten Kuba über die Bildschirme flimmerten (und die Amis haben echt ÜBERALL Fernseher), wurden wir allmählich kirre und panisch.
Am Abend vor dem Impact schliefen wir sehr unruhig. Ich hatte von meiner Freundin vor der Reise so eine Art Strampler für Erwachsene geschenkt bekommen (nein, kein Fetisch, einfach nur ein witziger Pyjama). Auf dem Strampler stand „Je suis un Sex Symbol“. Eigentlich egal, den sollte ja niemand zu Gesicht bekommen, sollte…
In der Nacht schrillten gegen 3 Uhr die Alarmsirenen des Hotels. Sowieso schon völlig Hurrikan geschädigt, waren wir binnen Sekunden hellwach und spulten das zuvor tausendfach im Fernsehen gesehene Evakuierungsprogramm ab. Aufstehen, schon bereit gelegte kleine Tasche mit Pass, Geld und Wechselwäsche greifen, über die Feuertreppe (bloß nicht den Aufzug!) in die Hotellobby gehen und dort auf weitere Instruktionen warten.
Das klingt sehr gesittet, spielte sich in der Realität aber völlig anders ab. Aki, also meine Freundin, und ich rannten wie vom Teufel gejagt. Wir sprangen meist sieben bis acht Treppen gleichzeitig hinunter. Wir mussten den Vorsprung nutzen, den wir vor den anderen Hotel-Schlafmützen hatten. Die Idioten schliefen scheinbar noch. Die Feuertreppen hatten wir auf jeden Fall für uns alleine.
Unsere nur-nicht-zögern-Taktik machte sich bezahlt. Wenn Miami im Sturm untergehen sollte, wären wir als erste im sicheren Bunker. Ich sah mich schon den weinenden Amis eine lange Nase zeigen, wenn mich die Nationalgarde als vorbildlichen Fluchttouristen zuerst in den „shelter“ bringen würde.
Nur noch eine Tür bis zur Lobby, Tür auf, Lobby betreten und… Ruhe. Absolut keine Panik. Ganz im Gegenteil. Im Hintergrund spielte sanft ein Piano. Die Hochzeitsgesellschaft von heute Nachmittag hatte sich inzwischen auf die komplette Lobby verteilt. Die Sirene hörten wir nicht.
Dafür starrten hunderte Gäste auf uns Idioten, die im Frottee- und Strampler-Pyjama mit einem roten Rucksack in der Lobby standen. Ich schlich mich verstohlen zur Rezeption und fragte nach dem Alarm und wo denn nun die Busse für die zu Evakuierenden seien. Der aalglatte Ami lachte gespielt zuvorkommend, „oh, disfunction, sorry“ sagte er. Er fragte noch, warum wir nicht vom Zimmer aus angerufen hätten, sondern gleich persönlich vorbeigekommen wären, um diese Antwort zu bekommen. Ich blieb stumm, denn mir fiel nicht die Übersetzung des Satzes ein: „Weil ich eine Scheißangst hatte, dass ich während dieses Telefonats von der dirty side des Hurrikans durchs Hotelfenster und in den Atlantik geblasen werde und in den Fluten krepiere!“
Stattdessen wollten wir klammheimlich wieder über die Feuertreppe in die obere Etage gehen, doch diese stupid-door ließ sich nicht mehr öffnen. „Just in an Emergency“, teilte uns ein Kellner mit. Wir mussten quer durchs Hotel zu den Fahrstühlen. Nur zur Erinnerung: ich trug einen Strampler. Seit dieser Fake-Evakuierung ist mir fast nichts mehr peinlich. Am Morgen wurde es dann doch noch ernst, mussten wir zwei Tage früher abreisen, weil George immer näher kam und der Flughafen geschlossen werden sollte.
Im Flugzeug hörten wir eine Familie ein paar Sitzreihen vor uns darüber reden, dass sich die Amis für die Junggesellenabend immer neue Ideen einfallen lassen würden. Sie hätten etwa gesehen, dass sich ein Mann in einen Kinderschlafanzug quetschen und mitten in der Nacht durchs Hotel hätte laufen müssen.
Reichen eigentlich 49 Jahre, na gut, fast 50 Lebensjahre aus, um eine Halbzeitbiografie zu schreiben? Ich denke, es hat sich eine Menge Kurioses, Schönes, Nachdenkliches und Lustiges angesammelt. Bis zu meinem 50. Geburtstag schreibe ich einige Erinnerungen hier einfach einmal nieder. Will doch keiner lesen? Ja Gott, dann lasst es. Wen es interessiert ... willkommen in meiner Welt.
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