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Meine Weihnachtsgeschichte

Autorenbild: Lars ReckermannLars Reckermann

Aktualisiert: 14. Jan. 2020



Ich bin ein großer Fan der Weihnachtszeit – mit all dem Kitsch, der dazugehört. Meine Mitmenschen nervt das zuweilen, weil ich mit dem Weihnachtsritual echt übertreibe. Ich höre pausenlos Weihnachtsmusik, gerne deutsche Lieder. „Eine Muh, eine Mäh …“ von Peter Alexander gehörte zum festen LP-Repertoire meiner Eltern.


Gehen wir kurz zurück in meine Kindheit: Der Heiligabend folgte einer festen Choreografie. Nach dem Aufstehen gegen 10 Uhr bis 15.30 Uhr Fernsehen (gab ja nur ARD, ZDF und das Dritte) und aufs Christkind warten. Dann Omas abholen. Um 16 Uhr in die Kirche (ich war mal Sprecher im großen Krippenspiel). Nach „Oh, du Fröhliche“ und „Ihr Kinderlein kommet“ (immer das letzte Lied im Krippenspiel) ging’s nach Hause. Aufs Glöckchen warten, Geschenke auspacken, lecker essen und drei Tage Hardcore-Familie – klasse. Immer kamen ganz viele Freunde meiner Schwester. Wir spielten Monopoly und Hotel. Die Familie schenkte sich fast immer ein neues Gesellschaftsspiel, das auch ausprobiert werden musste.


Als mein Kumpel Chico seinen Führerschein hatte (er war der Älteste aus unserer Runde), fingen wir an, Heiligabend durch die Gegend zu fahren. Oft ging es nach Altena, zur Burg, wo wir alle ein Glas Sekt tranken und uns zu Weihnachten zuprosteten. In der Kirche bin ich seit dem 16. Lebensjahr nicht mehr gewesen. Sorry!


Dann kamen meine Kinder auf die Welt. Die Ausfahrt mit den Jungs behielt ich trotzdem bei. Obwohl Lisa erst drei Tage alt war, zogen wir Männer auch 2002 wieder los. Keine Sorge, das Baby blieb damals bei der Mama. Und: Ich weiß, das klingt nicht fair. Meine Frau wusste aber, was mir dieser Tag bedeutet und ließ mich ziehen. Mit einem Jahr gehörte Lisa fest zu unserem Team und drei Jahre später war auch Tochter Nr. 2 dabei, wenn wir Männer loszogen. Jetzt schimpfen Sie bitte nicht, dass ich meine Kinder nicht in die Kirche schicke. Wenn Sie wollen, dürfen sie natürlich gehen. In den ersten Jahren hatte ich allerdings die besten Argumente für einen Tag mit Papa, rein monetäre Argumente übrigens. Heiligabend war Shopping-Papa-Tag. Beide durften sich etwas zum Anziehen aussuchen, ohne das Mama ihr Veto einlegen konnte. Mir hat das immer großen Spaß gemacht.


Als Lisa sechs Jahre alt war und Anni drei fuhren wir mit den Jungs mit dem Zug nach Dortmund. Ich weiß, es klingt jetzt etwas prollig, aber auf der Zugfahrt tranken wir alle immer eine Dose Bier. Ob ich mich das heute als junger Vater trauen würde, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Wohl eher nicht. Damals aber kam ich mir wie ein cooler Familienvater vor, der Heiligabend der Ehefrau den Rücken freihält und sich um die Kinder kümmert. Mal ehrlich, zwei, drei, vier Dosen Bier …, okay, jetzt merke ich es selbst.


Als wir uns im Jahr 2008 einmal im Zug eine Dose aufrissen, gluckste meine Jüngste aus dem Buggy: „Papa, Anni auch Durst“. Aus dem Augenwinkel merkte ich, dass mehrere besorgte Erziehungsberechtigte zum Handy griffen, um diverse Jugendämter anzurufen.

Anfangs gingen wir in Dortmund die Fußgängerzone hoch und runter oder fuhren auch schon einmal in den Westfalenpark. Wenn wir in der Stadt blieben, setzten wir uns zu Sport-Karstadt, gönnten uns ein Pils und steckten den Kindern etwas Geld zu. Sie durften sich bei Karstadt etwas aussuchen. Eigentlich erkauften wir Männer (ja, da waren vier von den fünf Freunden dabei) uns nur Zeit, um in Ruhe trinken zu können. Es machte meinen Kindern einfach keinen Spaß, in einem Café oder einer Kneipe zu sitzen. Da wurde ich anders erzogen, aber egal. Zuweilen machte uns das Verkaufspersonal darauf aufmerksam, dass ich meine Kinder doch bitte aus dem Schaufenster holen sollte (ich weiß bis heute nicht, wie sie da überhaupt hingekommen sind).


Die Kinder verlieh ich übrigens auch an meine Freunde. Das hört sich jetzt härter an, als es war. Lisa und Anni waren (natürlich) süße Kinder. Sich einige Stunden vor der Bescherung so liebevoll um die Kinder zu kümmern, erwärmte das Herz so mancher Kellnerin oder Café-Besucherin. Meine Freunde waren damals Singles. Lisa und Anni hatten schon als Kinder einen sehr guten Geschmack. Näherte sich eine gutaussehende Frau unserem Tisch, nannten sie wahlweise Scholli oder Maka "Papa" und fragten den ein oder anderen für alle gut hörbar, ob diese schöne Frau nun ihre neue Mutter werden könnte. Ein großes „Oh, wie süß“ und das erste Eis war gebrochen.


Ein paar Jahre später, das muss 2009 gewesen sein, waren wir gerade wieder auf dem Weg Richtung Karstadt, als wir ein lautes Gemurmel hörten. Es kam vom Dortmunder Gänsemarkt, der nur eine Stichstraße vom Marktplatz entfernt liegt. Je näher wir kamen, desto konkreter wurden die Geräusche: Lachen, Weihnachtslieder, Gläser klirren… Auf dem Gänsemarkt standen zig Väter mit ihren Kindern an der Hand. Einige Kinder liefen um die Bierbude … Moment mal, Bierbude? Exakt! Die zwei dort liegenden Kneipen waren bereits proppenvoll und auf dem kleinen Gänsemarkt im Schatten der St.-Marien-Kirche stand eine Bierbude. Fortan endete jede Rückfahrt an Heiligabend am Gänsemarkt.

Einmal habe ich die Kinder aus den Augen verloren. Ich geriet in Panik, konnte aber noch nicht nach ihnen suchen, weil Maka gerade eine Runde schmeißen musste. Meine Frau wäre ausgerastet, wenn sie erfahren hätte, dass ich am Bierstand stehe und die Kinder nicht auffindbar sind. Als mein Handy klingelte und meine Frau fragte, wie es uns ging und welchen Zug wir nach Hause nehmen würden, log ich, dass sich alle amüsieren. Meine Frau wollte Lisa sprechen. „Nicht jetzt, sie spielt gerade so schön mit anderen Kindern.“ Ich rief einem mir fremden Herrn zu, dass „die Mama am Telefon ist und sich Sorgen macht“. Ich log meine Frau an, Lisa winke ihr gerade richtig niedlich zu. „Schatz, dass kann die Mama doch gar nicht sehen..., Lisa aber auch immer“. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Nicht nur ich hatte meine Kinder verloren. Sie hatten auch mich in dem Wirrwarr aus verantwortungsvollen Heiligabend-Vätern aus dem Blick verloren. Diese undankbaren Geschöpfe hatten indes nichts Besseres zu tun, als das ihnen liebevoll von meinen Freunden zugesteckte Kleingeld zu missbrauchen, um aus einer Telefonzelle bei der Mama anzurufen. Die Nummer vom Festnetz kannten sie, aber nicht meine Handynummer. Was für ein schlechtes Zahlengedächtnis. Zu spät. Hatte ich erwähnt oder haben Sie sich bereits gedacht, dass dieser Anruf bei meiner Frau vor dem Anruf bei mir stattfand. Beim Lügen erwischt und mit dem lautstarken für meine Frau deutlich hörbaren Hinweis meines Bierstandnachbars, es fehle nicht mehr viel, dann sei die Kümmerling-Sonne aufgegangen,

stauchte mich meine Frau so extrem am Telefon zusammen, dass mir so mancher Bierstand-Vater später aus Mitleid noch einen ausgab. Einer bot mir sogar an, erst einmal bei ihm zu wohnen.


Meine Frau sagte den Kindern, ich werde sie an der Telefonzelle abholen. Die war übrigens direkt neben dem Gänsemarkt. Ich trank schnell aus, sagte meinen Freunden, dass meine kurze Abwesenheit sie nicht davon entbindet, mir ein weiteres Bier zu bestellen und holte die Kinder. Denen habe ich natürlich sofort mit einem Kugelschreiber meine Handynummer auf alle Arme geschrieben. Sicherheitshalber schrieb ich all unsere Handynummern, auch die meiner Freunde, noch auf einen Bierdeckel. Böse sein konnte ich ja nicht. Ich fand die Vorgehensweise zwar hinterrücks, aber auch sehr schlau.


Damit sie jetzt nicht denken, wir hätten uns dort immer gnadenlos abgeschossen. Getrunken wurde immer bis zu einem, ich nenne es einmal, „Weihnachts-Sentimental-Level“. Wir waren nicht betrunken (bis auf einmal, da waren die Kinder aber nicht mit) und wollten einfach nur die Welt umarmen. Mhm, das klingt jetzt doch sehr nach „Lampe an“, war es aber nicht. Ich schwöre.


Als ich 2013 nach Baden-Württemberg zog, endete für mich die Tradition. Manchmal treffen sich noch Scholli und Maka am Gänsemarkt. Irgendwann möchte ich da auch noch einmal hin. Dann mit Frau und Kindern.


Ich würde auch gerne noch einmal mit meinen Kindern am 24. Dezember einen Shopping-Vormittag einlegen. Nur der Erinnerung wegen. Mal sehen. Lisa, Anni: Wenn Ihr das hier lest (was sie nicht machen, weil es eben von mir ist), würde ich dieses Jahr noch einmal den Winter 2007 aufleben lassen und mit Euch shoppen gehen. Hach, Weihnachten …

 

Reichen eigentlich 49 Jahre, na gut, fast 50 Lebensjahre aus, um eine Halbzeitbiografie zu schreiben? Ich denke, es hat sich eine Menge Kurioses, Schönes, Nachdenkliches und Lustiges angesammelt. Bis zu meinem 50. Geburtstag schreibe ich einige Erinnerungen hier einfach einmal nieder. Will doch keiner lesen? Ja Gott, dann lasst es. Wen es interessiert ... willkommen in meiner Welt.

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