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AutorenbildLars Reckermann

Pfingsten bin ich weg


Der harte Kern der Pfingstengruppe.

Pfingsten bin ich nicht da. Seit nunmehr 12 Jahren gebe ich mich stets zu Pfingsten dem Irrglauben hin, dass mein auf die 50 Lenze zurasender Geist im Körper eines Mittzwanziger steckt. Ich gehe zelten.


Es fing an, als meine Familie und ich kurz vor Pfingsten 2008 überlegten, wie wir wohl das verlängerte Wochenende aufregend verbringen könnten. Kurz zuvor hatte ich in einem Sportgeschäft Wurfzelte gesehen. Für alle Nicht-Camper (und für alle richtigen Camper): Wurfzelte sind Zelte, die man zum Aufbauen nur in die Luft werfen muss. Noch im Flug entfalten sie sich. Das funktioniert aufgrund des unter Spannung stehenden Gestänges, das aus Fiberglas besteht, sehr gut. Womit auch verraten wäre, dass das Zelt auf jeden Fall mit einer bestimmten Technik zusammengefaltet werden muss – mehr dazu später.


Festzuhalten ist: Keine Stangen müssen ineinandergesteckt werden, keine Innen- oder Außenzelte in mühevoller Kleinarbeit mit irgendetwas verbunden werden. Kleine Zelte kosten um die 50 bis 60 Euro, etwas größere Versionen über 100 Euro. Wie ich in einem vorherigen Halbzeitbiografie-Beitrag schon geschrieben hatte, war ich als junger Mann bereits zelten. Wir hatten also eine gewisse Grundausstattung: Campingkocher, Schlafsäcke, Isomatten, Geschirr.


Mit unseren damals drei- und sechsjährigen Töchtern fuhren wir ins niederländische Zandvoort. Es war herrlich. Abgesehen von der Tatsache, dass beim Nächtigen auf einer Isomatte der Herrgott zu Pfingsten in unser Eltern-Zelt lieber einen Chiropraktiker denn den Heiligen Geist hätte entsenden sollen, klappte alles richtig gut. Gegessen wurden Ravioli (Dosenravioli versteht sich) und getrunken wurde Dosenbier (von meiner Frau und mir versteht sich).


Uns hat es so gut gefallen, dass wir auch in unserem Freundeskreis davon schwärmten. Der Urlaub war richtig günstig. Der einzige Stress entsteht bei der Anreise, weil zu Pfingsten halb Europa an die niederländische Küste pilgert. Okay, der zweizige Stress entsteht beim Zusammenfalten des Wurfzeltes. Stangen unter Spannung einzupacken haben nämlich die Angewohnheit, auch gerne unter Entladung eben jener Spannung, plötzlich um sich zu schlagen. Die Kinder hatten auf jeden Fall Spaß. Ich musste Betablocker einwerfen, damit ich den Platz nicht zusammenbrüllte. Egal: Nur die schönen Momente blieben in Erinnerung. Wir fuhren fortan immer zu Pfingsten zelten – und machen es bis heute.



Das Maskottchen des Campingplatzes ist der Hase Koos. Morgens fährt er an den Stellplätzen vorbei. Eigentlich machen die Kinder Fotos mit ihm - und ich.

Der Gruppe kann sich jeder anschließen. In den vergangenen Jahren hat sich ein harter Kern aus acht bis zehn Erwachsenen herausgebildet. Fünf bis sieben Kinder waren auch immer am Start. Die Kinder sind natürlich keine Kinder mehr, sondern Teenager. In diesem Jahr dünnt sich deshalb der Jugendbereich sehr stark aus. Neben der Größe der Pfingstengruppe hat sich auch der Campingplatz etabliert: Es geht seit 2011 nach Vrouwenpolder auf den schönen Platz Zandput. Zandput heißt übersetzt übrigens „Sandgrube“. Nur im Jahre 2016 wurden wir dem Platz einmal untreu.


Das Team ist inzwischen eingespielt. Wir buchen immer vier nebeneinanderliegende Plätze, wobei ein Platz ausschließlich für den großen, regenfesten Pavillon reserviert ist. Der Pavillon ist Treffpunkt, Versorgungsstation, Diskothek, Marktplatz.


Freitags, am Anreisetag, wird gegrillt. Samstags gibt es Ravioli, sonntags gerne einen Eimer voll Pommes, den man auf dem Campingplatz kaufen kann. Montags treten wir schon die Heimreise an.


Natürlich gibt es eine Pfingsten-WhatsApp-Gruppe, in der die komplette Logistik geregelt wird. Wer bringt Butter mit, wer Marmelade, wer den Grill...? Lediglich eine Kiste Bier muss jede Familie mitbringen. Nun denken Sie aber bitte nicht, dass wir an den drei Tagen nur Alkohol trinken. Erwischt! Das machen wir. Jetzt nicht direkt frühmorgens, aber meist nach dem Aufstehen. Zur Ehrenrettung: Menschen mit Ende 40 oder über 50 Jahre, die in einem maximal 1,04 Meter hohe Zelt auf einer Luftmatratze schlafen, benötigen morgens mindestens zwei Stunden zum Aufstehen. Also so richtig zum Aufstehen. Ich für meinen Teil krieche wie ein Quastenflosser aus dem Zelt und entpuppe mich quasi nach minutenlangem Stöhnen und Ächzen zu einem Geschöpf, dass allmählich wieder aufrecht stehen kann. Ans Trinken ist da erst einmal gar nicht zu denken. Zuvor habe ich mich trotz Rücken und schockgefrorenen Gliedmaßen in dem Minizelt noch angezogen. Die Geräusche, die ich dabei mache, klingen übrigens meist nicht jugendfrei.


Wenn dann aber zum Mittag die Sonne hoch über unseren Zeltplätzen steht, hat sich die Gemeinschaft zu einer passablen Reisegruppe gemausert. Gewaschen und gekämmt geht es dann am Samstag gerne zur Strandbar. Blick auf die Nordsee, Wind und Wellen. Herrlich! Maximal ein Bier und gerne einen kleinen Genever nehmen wir uns vor. Nachdem jeder dann mindestens zwei Runden geschmissen hat, geht es bei Einbruch der Dämmerung wieder zurück zum Zeltplatz. Musik hören, plaudern, lachen, übers Wetter fluchen („Verdammt kalt dieses Mal“ – „Viel zu heiß dieses Mal“) und Ravioli aus der Feldküche genießen. Neben einer Kiste Bier, muss jedes Paar auch eine Dose Ravioli mitbringen. Wir verfeinern das Dosenfutter gerne mit einer trockenen Scheibe Graubrot. Ebenfalls herrlich. Es kam auch schon vor, dass ein neues Mitglied der Gruppe einmal eine Dose Hühnersuppe mitbrachte. Da wir nur eine Herdplatte und einen einzigen Topf unser Eigen nennen, blieb die Dose zu. Wir hätten die Hühnerplörre natürlich in die vier Dosen Ravioli schütten können (vermutlich hätte es niemand gemerkt), aber … nein, es gibt ja noch so etwas wie Camperehre.


Diese Pfingstengruppe und diese drei Tage spiegeln eigentlich exakt wieder, wie ich mir meinen Lebensabend vorstellen. Okay die Größe des Zeltes wünsche ich mir nur für meinen allerletzten Gang. Viel kleiner können Särge wirklich nicht sein. Die Art und Weise des Zusammenlebens fasziniert mich aber. Gemeinsam mit Freunden zusammen sein, in direkter Nachbarschaft miteinander leben. Wenn jemand keinen Bock auf die Gemeinschaft hat, geht er auf seinen Platz und in sein Zelt. Es herrscht kein Gruppenzwang. Aber wenn sich jemand einmal eine längere Zeit nicht am Pavillon blicken lässt, wird nachgeschaut, ob alles okay ist. Niemand muss alleine sein. Wer schlecht drauf ist, wird von der Gruppe getröstet und im besten Fall aufgeheitert. Man hilft sich gegenseitig. Es gibt kein Meins, sondern nur ein Unser. Dafür lohnt es sich, morgens stundenlang wieder neu zu lernen, aufrecht zu stehen.

 

Reichen eigentlich 49 Jahre, na gut, fast 50 Lebensjahre aus, um eine Halbzeitbiografie zu schreiben? Ich denke, es hat sich eine Menge Kurioses, Schönes, Nachdenkliches und Lustiges angesammelt. Bis zu meinem 50. Geburtstag schreibe ich einige Erinnerungen hier einfach einmal nieder. Will doch keiner lesen? Ja Gott, dann lasst es. Wen es interessiert ... willkommen in meiner Welt.

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