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Zivildienst statt Bundeswehr

Aktualisiert: 14. Jan. 2020


Das Bild hzeigt meinen Opa auf einer umgestürzten Lok. Bild: Privat

Ich bin nicht zur Bundeswehr gegangen, ich habe Zivildienst gemacht. Als ich im waffenfähigen Alter war, musste man noch schriftlich eine Begründung schreiben, warum man den Dienst an der Waffe verweigern will. Ich hatte mich an einem Dienstag in eine Dortmunder Beratungsstelle gesetzt und wollte mit jemandem meine „Kriegsdienstverweigerung“, so hieß das damals, durchgehen. Ich habe von meinem Opa geschrieben, der im Krieg Lokomotive gefahren ist und beinahe ums Leben gekommen wäre, als eine Bombe die Gleise vor ihm zerfetzt hatte.


Heute kann ich es ja zugeben, es war alles gelogen. Es gibt zwar ein altes Foto, auf dem mein Großvater auf einer umgekippten Lokomotive steht. Wie das Bild indes zustande kam, darüber weiß ich nichts. Vermutlich habe ich mir damals eingeredet, Opa wäre über eine Mine gefahren. Nie hatte mir mein Opa Geschichten vom Krieg erzählt. Als er starb, war ich noch ein kleiner Junge.


Mein friedvoller Ansprechpartner des Verweigerungskontaktladens fand meinen Aufsatz eher plump. Er schlug mir vor, ich solle die gesellschaftskritische deutsche Lyrik des 19. Jahrhunderts in Relation zum modernen Waffengang des ausgehenden 20. Jahrhunderts analysieren und daraus eine 20-seitige Begründung schreiben, die „denen da im Kreiswehrersatzamt so richtig die Meinung geigt“. Ah, ja klar. „Mache ich“, log ich und lief schnell weg. Zuvor hatte mich der Schafswoll-Pullover tragende Mensch schon fast militärisch auf die Frage vorbereitet, was ich denn mache, wenn der Russe meine Familie tötet und ich das nur verhindern könne, indem ich ihn erschieße. Auf meinen Einwand, ich hätte nichts zum Schießen erklärte mir mein Zivi-Ausbilder, das Gewehr liege neben dem Bett. Ich rollte die Augen. „Es wäre ja wohl etwas blöde, wenn ich als angehender Zivi eine geladene Knarre neben meinem Bett stehen hätte." Ich wollte den Typen eigentlich nur ärgern. Er fand’s nicht witzig. Und da er nur meinen Vornamen kannte, konnte ich auch einfach weglaufen.


Durch die Straße in Dortmund wo der Treff war, bin ich jahrelang nicht mehr gegangen.

Die Kommission fragte mich übrigens nicht nach Massenmördern in meinem Schlafzimmer, sondern erkannte meine Verweigerung einfach so an.


Nur meine Großmutter väterlicherseits war enttäuscht. Sie hätte ihren Enkel zumindest gerne einmal in Uniform gesehen. Sie war dem Trugschluss erlegen, sie könne mich quasi mit einer Militärparade von meinem feigen Ansinnen noch abbringen. Fortan musste jeder ihr bekannte 18-Jährige, der zum Bund ging, mindestens einmal in Ausgehuniform an unserer Tür schellen (meine Oma wohnte direkt über uns). Und immer schrie meine Oma von oben durchs Treppehaus: „Ach der Holger, schnieke, richtig schnieke, Lars, guck doch mal…“ Und so ging das fast täglich. Ich hatte damals mehr Soldat im Hausflur als die Bundeswehr derzeit in Mali.


Meinen Entschluss hat es nicht beeinflusst. Im Sommer 1989 trat ich meinen Dienst beim Mobilen Sozialen Hilfsdienst in Fröndenberg an.

 

Reichen eigentlich 49 Jahre, na gut, fast 50 Lebensjahre aus, um eine Halbzeitbiografie zu schreiben? Ich denke, es hat sich eine Menge Kurioses, Schönes, Nachdenkliches und Lustiges angesammelt. Bis zu meinem 50. Geburtstag schreibe ich einige Erinnerungen hier einfach einmal nieder. Will doch keiner lesen? Ja Gott, dann lasst es. Wen es interessiert ... willkommen in meiner Welt.

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